Mehr Chancen für Jungwissenschaftler*innen in der Angewandten Forschung

Wien (OTS) – Dürfen (Fach)Hochschulen in Österreich künftig Doktorate
vergeben?
Diese Frage markiert eine aktuell besonders brisante
wissenschaftspolitische Debatte. Die meisten der bisherigen
Fachhochschulen (FH) haben ihre Forschung sukzessive ausgebaut und
stärken mit deren Praxisbezug die Wirtschaft. Sie fordern daher immer
lauter das Recht auf Doktoratsstudien ein. Zum Ausdruck kommt das
gestiegene Selbstverständnis in der Forschung auch in der neuen
Bezeichnung als „Hochschulen für Angewandte Wissenschaften“ (HAW).
Sie löst den Begriff der Fachhochschule seit dem letzten Jahr –
basierend auf neuen gesetzlichen Möglichkeiten – Schritt für Schritt
ab.

„ In Deutschland ist man schon einige Schritte weiter. Hier gibt
es eigenständige Doktorate an (Fach)Hochschulen in 14 von 16
Bundesländern “ verweist Kurt Koleznik, Generalsekretär der
Österreichischen Fachhochschulkonferenz (FHK), auf die Situation beim
Nachbarn. Insbesondere die FH/HAW in der Mitte sowie im Westen
Österreichs hätten hier die Mitbewerber in Süddeutschland im Auge:
Baden-Württemberg und Bayern haben eigene FH/HAW-Doktorate mit
entsprechenden Strukturen.

Die Interessensvertretung der FH/HAW sieht den Vorschlag für
eigene Doktorate in ihrem Sektor, der auch im aktuellen
Regierungsprogramm verankert ist, positiv, weil die Titelvergabe dann
bei den FH/HAW verbleiben würde . „Durch die Promotionsmöglichkeit
schaffen wir für Partner aus Wirtschaft und Gesellschaft einen
Mehrwert, da Forschungsergebnisse schnell in die Praxis transformiert
werden. Durch internationale Kooperationen werden Synergien genutzt
und Geld gespart“ fasst Koleznik die Vorteile einer Reform zusammen.

Bis sich die Lage wie angestrebt in Österreich ändert, können
Dissertationen nach wie vor nur in Kooperation mit in- und
ausländischen Universitäten realisiert werden. Zur Unterstützung der
Doktorand*innen führt zum Beispiel die FH Oberösterreich ein
Promotionskolleg. Die Kooperation mit Universitäten funktioniere laut
dieser forschungsstarken FH/HAW grundsätzlich gut, aber stößt
bisweilen an ihre Grenzen. Die grundlagenorientierten Fachgebiete der
Unis passen nämlich nicht immer mit dem praxisorientierten
Forschungsprofil der FH/HAW zusammen.

Zwtl.: Höhere Mittel aus Europa für die Forschung im Visier

„ 56 Mitarbeiter*innen der FH Oberösterreich haben durch die
intensiven Forschungsaktivitäten in den letzten fünf Jahren ihre
Dissertationen abgeschlossen. Um weitere Potenziale zu nutzen,
braucht es eigenständige Promotionen an FH/HAW “ unterstreicht
Michael Rabl, Hochschulpräsident der FH Oberösterreich, eine
langjährige Forderung. Doktorand*innen würden Schlüsseltechnologien
und Innovationen vorantreiben, die in der Wirtschaft ganz unmittelbar
helfen. „ Wir könnten die Angewandte Forschung mit Doktoraten
perspektivisch sogar ausbauen, da sie unsere Chancen erhöhen,
europäische und internationale Forschungsgelder nach Österreich zu
holen “ so Rabl weiter.

Andreas Altmann, Rektor von MCI | Die Unternehmerische Hochschule
® in Innsbruck, schließt sich dieser Forderung an. Er sieht in der
Promotionsmöglichkeit eine essenzielle Maßnahme, um Forschungstalente
in Österreich zu halten und „Top-Talents“ aus dem Ausland für den
Standort zu gewinnen: „ Junge Forscher:innen wandern ab, wenn sie ihr
Doktorat nicht an einer FH/HAW in Österreich machen können und ins
Ausland ausweichen müssen. Mit eigenständigen FH/HAW-
Doktoratsprogrammen bleiben die besten Köpfe in Österreich, bauen
hier ihre Karriere auf und erhöhen so die industrienahe
Forschungsleistungen. Gleichzeitig haben wir damit ein Instrument,
abgewanderte Studierende und Forschende nach Österreich
zurückzuholen. Es braucht mutige Politik, die zeigt, dass Österreich
attraktive Perspektiven schafft und in Talente investiert. “

Konkurrenzfähige Forschung für innovative Unternehmen – auch
international

Johann Kastner, der neben seinem Amt als Vizepräsident der FH
Oberösterreich auch den F&E-Ausschuss in der FHK leitet, sieht
eigenständige Doktoratsprogramme als eine Investition in Österreichs
Zukunft: „ Sie verhindern die Abwanderung talentierter junger
Wissenschaftler*innen, sichern öffentliche Gelder, stärken die
Regionen, treiben Innovationen von der Wissenschaft in die Wirtschaft
und machen Österreich so international konkurrenzfähig. Auf der
Agenda stehen auch gemeinsame Doktoratsprogramme mit europäischen
Hochschulen, die über ein Promotionsrecht verfügen .“

FH/HAW-Doktorate diversifizieren aus Sicht des F&E-Ausschusses
das Hochschulsystem insgesamt und tragen zu Österreichs Sichtbarkeit
auf der Weltkarte der Wissenschaft bei.

All dem schließt sich auch Axel Schneeberger, Geschäftsführer der
FH Wiener Neustadt an und ergänzt: „ Wir bilden laufend Doktorand*
innen aus, die bei uns wissenschaftlich tätig sind und unsere
öffentlich finanzierte Infrastruktur nutzen. Die wissenschaftliche
Leistung „erntet“ aber der Kooperationspartner im Ausland, der den
Doktorgrad vergibt, da uns diese Möglichkeit fehlt. Wir finanzieren
Wissenschaft mit österreichischem Steuergeld. Nutzen, Reputation,
Knowhow und Innovation sollten im Inland bleiben. Das muss auch im
Sinne der Politik und der Steuerzahler*innen sein. Wir haben an der
FH Wiener Neustadt starke Forschungsfelder, vor allem im Bereich
aktueller Schlüsseltechnologien. Mit einer Möglichkeit für
eigenständige Doktoratsprogramme an unserer Hochschule stärken wir
Österreichs Forschungslandschaft und fördern damit die Resilienz des
Wirtschafts- und Industriestandorts.“